Mittwoch, 17. Februar 2016

Alternativloser Aktionismus

Warum wir heute viel stärkere, international demokratisch legitimierte Institutionen brauchen.

Heutige Krisen sind internationale Krisen. So wie unser Handel und unsere Kommunikation global geworden sind, so verteilen sich bei Krisen ihre Ursachen und Auswirkungen über viele Nationen, wenn nicht alle.
So kann die aktuelle Flüchtlingskrise national gar nicht gelöst werden, ohne einen Ausnahmezustand auszulösen. Man stelle sich nur mal vor, die nationale Scheinlösung namens Obergrenze würde umgesetzt, so müsste man zu deren konsequenten Durchsetzung bewachte Grenzen schaffen. Am Ende gäbe es Tote und Randale.
Dabei können in Europa nur noch die Symptome, nicht aber die Ursachen behandelt werden. Wir verhalten uns wie der arme Retter am Fluss, der ständig Ertrinkende aus dem Wasser holt, aber keine Zeit dafür findet, das Scheusal zu stoppen, dass weiter oben die Leute überhaupt ins Wasser wirft.
Dieses Scheusal muss nicht mal Assad oder Daesch heißen. Nach der Flucht vor der unmittelbaren Lebensgefahr vertreiben andere Geißeln der Menschheit die Massen: Hunger und Perspektivlosigkeit. Doch dagegen ist 2015 noch weniger geschehen als in den Jahren zuvor, obwohl das Leid wuchs.
Vor ein paar Tagen wurde nun triumphal verkündet, dass innerhalb eines Tages auf der UNO-Geberkonferenz so viel Geld wie noch nie gesammelt wurde. Dass diese Summe aber über mehrere Jahre gestreckt ausgezahlt wird und allein für 2016 immer noch nicht den von der UNO gemeldeten Bedarf deckt, wurde in den meisten Berichten gar nicht erwähnt.
Generell war mir die Selbstkritik am westlichen Hegemonialanspruch mit seiner neoliberal-kolonialistischen Agenda und dessen globalen Auswirkungen in der ganzen Debatte viel zu leise. Es gibt bis heute keine medienwirksame Anti-Wachstumsbewegung. Waffenlose Bekämpfung von Terroristen scheint nicht mal ein soziologisches Forschungsgebiet zu sein.
Wir hasten förmlich von Krise zu Krise, um in den Atempausen dazwischen nur noch Trümmer zu beseitigen und Aktionismus beizuwohnen. Langfristige Lösungen, die länger als eine Wahlperiode für Umsetzung und/oder Wirkung brauchen, schaffen es gar nicht mehr in den öffentlichen Diskurs. Wer außerhalb der bekannten Schemata denkt, wird ignoriert, verlacht oder medial totgeprügelt. Am Ende entstehen alternativlos-aktionistische Scheinlösungen, welche die Ursache des Problems nicht mal tangieren.
Das ist wohl einer der Hauptgründe, warum sich ein Teil der Deutschen* in einen unpolitischen Neu-Biedermeier zurückgezogen hat und der andere sich in alle Himmelsrichtungen radikalisiert. Man will auf internationale Vernunft hoffen und bekommt supranationalen Wahnsinn. EU, NATO, UNO, WTO könnten die Welt zu einem gerechteren Ort machen, doch sind sie zu institutionellen Werkzeugen der Mächtigen geworden, um deren Interessen Gewicht zu verleihen.
Sofern überhaupt, sind sie demokratisch so abstrakt legitimiert, dass Manipulation und Einflussnahme kaum Grenzen gesetzt sind. Man muss nur kratzen, um hinter der Fassade des Gemeinwohls die Vertreterfüllung von Einzelinteressen freizulegen.
Diese internationalen Missstände lassen sich aber nicht im Nationalen beseitigen, ohne deren Opfer zu werden. Gerade deshalb hoffe ich, dass aus DiEM25 mehr wird als eine gute PR-Aktion.

*wohl auch allgemein auf Europäer übertragbar