Montag, 24. August 2015

Die neue Völkerwanderung

Heute früh hörte ich im Radio diesen Begriff, dass wir vor "einer neuen Völkerwanderung" stehen.

Der Begriff hat mich nicht losgelassen. Tatsächlich stehen wir vor einer Epoche mit Menschenwanderungen unbekannten Ausmaßes.

Dabei lässt sich die Kausalität leicht ergründen: Das Handy ist zum wichtigsten Werkzeug des Bauern der dritten Welt geworden. Mit dem Handy wird das Internet Bestandteil des Alltags. Während sich bis dahin die potenziellen Erfahrungen auf die eigenen und Geschichten anderer beschränkten, kann nun jeder zumindest einen Eindruck davon bekommen, wie das Leben in anderen Regionen der Erde ist.
Diese Kostprobe eines besseren Lebens lässt einen natürlich nicht die Heimat verlassen. Wenn allerdings der eigene Acker von Agrarkonzernen aufgekauft bzw. abgenommen wird (Stichwort Landgrabbing), das Wasser nicht mehr fließt (Stichwort Stete Verknappung der Süßwasserressourcen) oder einfach nicht von seinen Erzeugnissen leben kann (Stichworte Freihandelsabkommen und EU-Agrarsubventionen), schweift der Blick in die Ferne. Dazu muss nicht mal Bürgerkrieg im Land herrschen.
Das ist keine Gier nach einem besseren Leben, dass ist das Klammern an einem Strohhalm zum Überleben.

Europa als sicherer Wohlstandshafen ist nicht nur (ein) Ziel dieser Wanderung, es trägt als Hort der größten Weltkonzerne wie Nestlé auch dazu bei, dass immer mehr Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren. Manche Freihandelsabkommen zwischen der EU und einzelnen Dritte-Welt-Ländern lassen eine normale wirtschaftliche Entwicklung der Länder gar nicht zu. Die Abkommen dienen schlussendlich nur der Erhaltung eines potenziellen Marktes für die Global Player.

Und was tut die EU, um den wachsenden Flüchtlingszahlen begegnen zu können?
Erneuerung des Dublinabkommens, um über einen Schlüssel die Flüchtlinge gerecht zu verteilen? Fehlanzeige.
Einführung eines gemeinsamen Asylverfahrens, zumindest im Schengen-Raum, damit es allgemein gerechter zugeht? Nicht in Arbeit.
Bau von Flüchtlingseinrichtungen mit Hilfe des aufgeblasenen spanischen Bausektors und den aufgeblähten EU-Fördertöpfen? Viel zu wenig.

Nein, die EU baut einen Zaun ans Mittelmeer, welcher der DDR-Grenze zur Ehre gereicht hätte. Dass sich von einem Zaun niemand aufhalten lässt, der alles zurückgelassen und über tausende Kilometer sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, scheint unseren oberen Lenkern nicht einzuleuchten. Empathie war allerdings noch nie deren Stärke.
Menschen stehen nicht im Mittelpunkt der EU-Interessen, sie haben keine Lobby.

Und in Deutschland? Da schwadroniert der Innenminister von sicheren Herkunftsländern und Sachleistungen, während inzwischen täglich (!) Anschläge auf Flüchtlingsheime verübt werden. Interessanterweise wird das übrigens bisher nicht als Terror bezeichnet, obwohl das Wort sonst bei jeder Gelegenheit verwendet wird. Dabei ist das, was derzeit wieder in Deutschland abläuft, Terror, die "systematische Verbreitung von Angst und Schrecken".

Man hat den Balkan quasi die letzten 15 Jahre sich selbst überlassen, keine Aufbauhilfe oder ähnliches gegönnt. Bisher war es eine naheliegende, billige verlängerte Werkbank. Im Kosovo sind noch Blauhelme unterwegs, wie kann das also ein sicheres Herkunftsland sein? Eigentlich hätte man nach dem Kalten Krieg begreifen sollen, dass man nach einer militärischen Intervention den Staat auch wieder aufbauen muss. Das wurde weder in Jugoslawiens Nachfolgestaaten noch in Lybien getan. Das langfristige Ergebnis sehen wir in der europäischen Peripherie.

Und die Debatte über sichere Herkunfsländer sorgt dafür, dass sich Kosovo-Albaner und Marokkaner in den Flüchtlingsheimen an die Gurgel gehen, weil der eine dem anderen vermeintlich den Platz weg nimmt.

Ein Mensch ohne Perspektive verliert jeden Tag ein Stück seiner Menschlichkeit

Wir haben die Ellenbogengesellschaft auf nationaler Ebene in die Welt getragen, nun müssen wir diese Entwicklung zurückdrehen oder mit den Folgen leben.


Erst, wenn wir begriffen haben, dass unser auf unbegrenztes Wachstum basierendes Wirtschaftssystem keinen Platz auf einem begrenzten Planeten hat, haben wir die Chance, eine globale Gesellschaft aufzubauen, wo jeder im Wohlstand leben kann.

Dazu braucht es nur ein anderes Bild von Wohlstand!

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